Armut trotz Reichtum

4. März 2025

Warum Gerechtigkeit kein Zufall sein darf

Deutschland gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt. Dennoch leben fast 13 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze, die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, und immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen. Während Einkommen und Vermögen an der Spitze explodieren, kämpfen viele am unteren Ende der Gesellschaft mit steigenden Preisen, niedrigen Löhnen und unsicheren Zukunftsperspektiven. Die zentrale Frage ist: Wie kann es sein, dass ein Land immer reicher wird, während gleichzeitig so viele Menschen abgehängt werden?

Dieser Artikel basiert auf dem Video „Werden die Deutschen immer ärmer?“ von Simplicissimus.

Steigende Kosten, stagnierende Löhne

Das Leben in Deutschland wird teurer. Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren rasant gestiegen, Energiepreise belasten Haushalte massiv, und die Mieten explodieren. Besonders für junge Menschen wird Wohneigentum immer unerschwinglicher – die Immobilienpreise haben sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt.

Während der Corona-Pandemie sind die Reallöhne gesunken, und wer ohnehin wenig verdient, hat kaum Möglichkeiten, Rücklagen zu bilden. Besonders deutlich wird das, wenn man die Entwicklung der mittleren Einkommen betrachtet: Seit den 1990er Jahren sind sie zwar um etwa 20 % gestiegen, doch das Wirtschaftswachstum war im gleichen Zeitraum deutlich höher. Das bedeutet, dass der Wohlstand zwar gewachsen ist, aber bei vielen Beschäftigten kaum angekommen ist – sie haben trotz steigender Produktivität real nicht wesentlich mehr in der Tasche.

Bildung als Schicksal

Ein zentrales Problem: Der soziale Aufstieg in Deutschland ist schwer. Wer in einem Akademikerhaushalt aufwächst, hat eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, selbst Abitur zu machen und zu studieren. Wer aus einer Arbeiterfamilie stammt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit nie eine Hochschule von innen sehen. Bildung wird also nicht primär durch Leistung bestimmt, sondern durch die Herkunft.

Diese Ungleichheit setzt sich im Erwerbsleben fort. Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen verdienen nicht nur mehr, sondern haben auch bessere Chancen auf sichere Arbeitsplätze, höhere Renten und Vermögensaufbau. Wer wenig verdient, kann kaum sparen. Während Beschäftigte in den unteren Einkommensgruppen nur etwa 5,7 % ihres Gehalts zur Seite legen können, sind es in den oberen Einkommensgruppen über 20 %.

Reichtum wird vererbt, nicht verdient

In kaum einem anderen Land Europas besitzen so wenige Menschen Wohneigentum wie in Deutschland. Nur etwa 46 % leben in den eigenen vier Wänden – während es in Spanien, Italien oder Frankreich deutlich mehr sind. Die Folgen sind gravierend: Während Immobilienbesitzerinnen durch steigende Preise Vermögen aufbauen, zahlen Mieterinnen immer höhere Mieten – ohne die Chance, selbst von diesem Boom zu profitieren.

Hinzu kommt das Thema Erbschaften. Jährlich werden in Deutschland bis zu 400 Milliarden Euro vererbt – doch die Verteilung ist extrem ungleich. Die obersten 10 % erhalten rund die Hälfte des gesamten Erbvermögens, während die unteren 50 % zusammen gerade einmal auf 7 % kommen. Erben ist in Deutschland steuerlich so privilegiert, dass große Vermögen oft komplett steuerfrei übertragen werden können. Während Arbeitseinkommen hoch besteuert wird, bleibt Kapitalvermögen oft unberührt.

„Mehr als die Hälfte aller Vermögen und privaten Ersparnisse in Deutschland wurden heute nicht durch eigene Arbeit erworben, sondern geerbt.“
Marcel Fratzscher – Professor für Makroökonomie

Die Folge: Reichtum wird vererbt, Armut ebenfalls. Studien zeigen, dass es in Deutschland im Durchschnitt sechs Generationen dauert, um sich aus einer Armutslage hochzuarbeiten. Wer einmal unten ist, bleibt dort – während die, die oben sind, ihren Wohlstand weiter absichern.

Wachsende Ungleichheit gefährdet den Zusammenhalt

Ungerechtigkeit hat direkte Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima. Wer sich abgehängt fühlt, verliert das Vertrauen in Institutionen, geht seltener wählen und ist anfälliger für populistische Versprechen. Studien zeigen, dass Menschen mit niedrigen Einkommen sich häufiger von der Demokratie entfremdet fühlen und eher rechtspopulistische Parteien wählen.

„Eine Demokratie kann nicht funktionieren, wenn es in dem Land keine soziale Gerechtigkeit gibt.“
Helmut Schmidt – Ehemaliger Bundeskanzler

Gleichzeitig wird die Schuld an den sozialen Problemen oft auf die Schwächsten der Gesellschaft abgewälzt. Statt über faire Löhne, gerechte Steuern oder bessere soziale Absicherung zu diskutieren, dominieren Debatten über Bürgergeld, Migration oder vermeintliche Sozialmissbrauchsskandale die öffentliche Diskussion. Dabei zeigen die Zahlen klar: Die eigentliche Schieflage liegt nicht bei denen, die wenig haben, sondern bei denen, die unverhältnismäßig viel besitzen und keine Abgaben leisten.

Gerechtigkeit muss durchgesetzt werden

„In kaum einem anderen Land bleibt Arm so oft Arm und Reich so oft Reich.“
Marcel Fratzscher – Professor für Makroökonomie

Eine gerechtere Gesellschaft kommt nicht von selbst. Sie muss erkämpft werden. Es braucht eine faire Steuerpolitik, eine bessere Verteilung von Wohlstand und einen funktionierenden öffentlichen Dienst, der allen zugutekommt. Denn wer Gerechtigkeit als Luxusproblem sieht, hat das Problem nicht verstanden.

Die Frage ist nicht, ob wir uns eine gerechtere Gesellschaft leisten können. Die Frage ist, ob wir uns leisten können, sie nicht zu schaffen.

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